Storytelling für Journalisten.
wie baue ich eine gute Geschichte
Marie Lampert und Rolf Wespe mit vielen Autoren, darunter Marianne Pletscher
Herbert von Halem Verlag
978-3-7445-0991-6
Synopsis
Mit vielen Beispielen aus der Praxis weisen die AutorInnen den Weg zum erfolgreichen storytelling. Ein weiterer Text, in dem ich als Beispiel für eine Ich-Geschichte den Verlust meines Partners verarbeite.
Vom Kampf mit der Ich-Story oder die verlassene Autorin
Ein toter Mann auf der Parkbank und ein Zettel für mich: "Liebe Marianne, Ich liebe Dich, sei nicht traurig, Werner".
Wie gehen Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben, mit diesem furchtbaren Erlebnis um? Und kann frau darüber einen Film machen, wenn sie selbst betroffen ist? Zweieinhalb Jahre nach dem Verlust meines Partners stellte ich mir diese Frage. Ich begann zu recherchieren und sah, dass in Zürich bald ein internationaler Suizid-Kongress stattfinden würde. Wenn ich diesen Kongress aushalte, kann ich auch den Film machen, sagte ich mir, ging hin, fuhr psychisch Achterbahn, hatte aber auch so viele Aha-Erlebnisse, dass der Entscheid klar war: Ich MUSS diesen Film machen, ich will, dass den Menschen bewusst wird, was es heisst, jemanden auf diese Weise zu verlieren. Ich will, dass sie Symptome einer Suizidgefahr besser erkennen können. Und ich will vielleicht sogar, dass jemand, der an Suizid denkt, weiss, was er bei seinen Angehörigen anrichtet. Damit war auch schon der Aussagewunsch formuliert. Und es wurde mir klar, dass ich, in irgendeiner Form, meine eigeneBetroffenheit thematisieren musste.
Die meisten Faktenrecherchen hatten sich am Kongress schon erledigt. Auch erste interessante GesprächspartnerInnen lernte ich kennen, darunter einenführenden Suizidforscher, der selbst einen Sohn durch Selbsttötung verloren hatte. Mir wurde im Kontakt mit ihm klar, in diesem Film sollen nur selbst Betroffene vorkommen. Jetzt begann ich „LeidensgenossInnen“ zu treffen. Die ersten Gespräche warfen mich zurück in die ersten Monate meiner Trauerzeit – fast hätte ich aufgegeben. Doch die journalistische Neugier war zu stark. Es war unglaublich spannend, nicht einfach zu fragen, sondern Gefühle auszutauschen. Nach rund 20 Gesprächen hatte ich eine erschreckende Coolness erreicht, die mich auch wieder verwirrte. Wo waren meine Gefühle geblieben, die ich für einen persönlichen Ansatz brauchte? Gleichzeitig stieg die Angst, zu viel von mir selbst preiszugeben. Ich war unfähig, an erste Gestaltungsideen und an eine Dramaturgie zu denken, notierte einfach mal alle Elemente auf, die in den Film sollten. Ich kenne diesen Prozess, er überfällt mich bei jedem Film, gehört dazu und eine Seite von mir weiss immer, dass ich dann schon eine Lösung finden werde. Nur war diesmal noch alles etwas schwieriger. Es ging ja schliesslich auch um mich selbst, ganz privat.
Ein Traum bringt Hilfe
Ich tat, was ich immer tue in solchen Momenten der Verzweiflung: ich legte mich schlafen, mitten am Nachmittag. Und prompt brachte ein Traum Hilfe. Ich träumte, dass ich meinem Partner allein davonsegelte, in einem kleinen, weissen Schiff. Später fand ich nur noch seine nassen, kaputten Kleider in einem Seesack – ich akkzeptierte, dass er tot war. Jetzt waren die Gefühle wieder voll da, und es gelang mir innert weniger Tage, meine GesprächspartnerInnen auszulesen und Bilder und Texte für die Titelsequenz und die Rahmengeschichte – meine eigene, zu finden. Alles sehr provisorisch, denn ein Dokumentarfilm muss lebendig und offen bleiben bis zum Schluss. Wichtig ist, eine gute Struktur zu finden, wichtig ist, genügend Bilder bereit zu haben dass beim Schnitt nicht plötzlich etwas fehlt. Und so stürze ich mich jetzt, wie immer mit einer Mischung von Angst und Selbstsicherheit in die Dreharbeiten. Alles ist geplant und alles bleibt offen. Ausser einem: dem Aussagewunsch. Den schreibe ich mir, wie immer, auf die hinterste Seite meines Notizblocks, damit er im Aufruhr der Gefühle während dem Dreh nicht vergessen geht. Ich will den Zuschauern bewusst machen was es heisst, jemanden auf diese Weise zu verlieren. Sie sollen Symptome einer Suizidgefahr besser erkennen. Denn eines ist klar: psychisch Achterbahn fahren werde ich bei diesem Film bis zum Schluss.